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Wasserkraft ist keine „grüne Energie“.

Wasserkraft wird häufig als „saubere“ oder „grüne“ Energie bezeichnet. Man muss aber ganz klar unterscheiden: Wasserkraft ist zwar durchaus eine der erneuerbaren Energien, aber in den meisten Fällen leider weder naturverträglich noch nachhaltig – und alles andere als „grün“. Die Wissenschaft ist sich mittlerweile einig: Wasserkraft hat massive Auswirkungen auf die Umwelt und sollte, wenn überhaupt, nur noch in Ausnahmefällen und mit größter Umsicht eingesetzt werden. Warum ist das so?

Intakte Flusslandschaften helfen uns Menschen: Sie liefern sauberes Wasser, bieten Orte für Sport und Erholung, sorgen für Nährstofftransport und Hochwasserschutz. Aber eben nur, wenn diese Flüsse funktionierende Ökosysteme sind.
Menschen nutzen Flüsse aber bis an die Grenze der Belastbarkeit – wir verwenden sie als Wasserstraßen, entnehmen Wasser zur Bewässerung oder zur Kühlung von Kraftwerken und Industrieprozessen, belasten sie mit Abwasser, mit Dünger aus der Landwirtschaft, verbauen die Ufer und zusätzlich dienen Flüsse der Stromproduktion durch Wasserkraft. Weshalb Wasserkraftwerke mit ihren Stauseen, Ausleitungsstrecken, Wehren und Dämmen besonders problematisch sind, erklären wir im Folgenden.

Süßwasser Ökosysteme hängen am seidenen Faden

Den Ökosystemen von Flüssen, Bächen, Seen und Feuchtgebieten geht es bereits sehr schlecht: Von der Biodiversitätskrise sind seit Jahren am stärksten Süßwasserarten betroffen – also alle deren Existenz von intakten Flüssen, Gewässern und Feuchtgebieten abhängen. Süßwasser Ökosysteme beherbergen sowohl qualitativ als auch quantitativ die meisten Arten im Vergleich zu anderen Ökosystemen. Gleichzeitig verzeichnen sie aber die höchsten Raten an Artenverlust: Seit den 70ern sind die Süßwasser-Populationen weltweit um durchschnittlich 83 Prozent zurückgegangen, einige Arten sind ausgestorben (1). Im Inn z. B. kommen von ehemals 33 Fischarten nur noch zwei Arten häufig vor, der Rest ist entweder ausgestorben oder in seinem Fortbestand gefährdet (2). Es wird also höchste Zeit, dass wir Flüsse und andere Süßwasser Ökosysteme schützen – denn es geht um unser Wasser.

Flüsse sind Netzwerke

Um zu verstehen, weshalb schon ein einziges Wasserkraftwerk so gravierende Auswirkungen auf ein Flusssystem hat, muss man anschauen, wie dieses funktioniert. Fließgewässer sind keine räumlichen abgegrenzten Ökosysteme, sondern permanent im Austausch mit ihrer Umgebung – Austausch von Wasser, von Energie, von Stoffen, von Organismen; aktiv und passiv, flussauf und flussab. Fische wandern entlang der Fließstrecke, Insekten und Vögel bewegen sich zwischen Ökosystemen an Land und am Wasser, Sediment und Nährstoffe werden aus dem Gebirge Richtung Meer transportiert, abgelagert und wieder weggewaschen. Fließgewässer Ökosysteme haben soviel Austausch mit ihrer Umgebung, dass man eher von Netzwerken spricht – Netzwerke mehrerer verschiedener (Sub)Ökosysteme, die miteinander verbunden sind und untereinander Austausch betreiben. Die Ausgestaltung dieses Netzwerkes und in welcher Form die einzelnen Subsysteme miteinander verbunden sind (oder eben nicht) ist relevant für das gesamte Flussnetzwerk und – relevant dafür wie gut das Ökosystem Fluss funktioniert. (3).
Durch den Bau von Wasserkraftwerken wird das Ökosystem Fluss fragmentiert – egal ob durch Ausleitungen, komplett oder teilweise Trockenlegung von Flussabschnitten oder durch Staudämme. Egal wie kurz die Ausleitung oder wie klein der Damm ist: sie führen dazu, dass Flussabschnitte abgeschnitten sind vom restlichen Netzwerk, Lebensräume isoliert werden. Die Fragmentierung des Netzwerkes führt zu Qualitätsverlust des gesamten Fließgewässers, zu einem Verlust von Lebensräumen und Biodiversität. Deshalb wirken sich Wasserkraftwerke von der Quelle bis zum Meer aus.

Flüsse räumen um

Eine weitere Aufgabe von Flüssen ist der Sedimenttransport vom Gebirge bis in die Ebene und zum Meer. Von feinem Sand und Tonmineralen bis zu großen Gesteinsbrocken und auch organischem Material, Flüsse räumen im Gebirge auf und bringen Mineralien in die Ebene.
Jedes Querbauwerk, also Wehre und Staudämme, verlangsamen die Strömung, die dadurch weniger Transportenergie hat, sodass Sediment liegen bleibt. Staubecken müssen deshalb ausgebaggert und gespült werden. Selten wird das entnommene Sediment dem Fluss zurück gegeben, meist wird es zu Baumaterial. Es fehlt dem Fluss also und er gräbt sich tiefer in sein Bett (4). Das wiederum hat häufig Auswirkung auf den Grundwasserspiegel und damit direkt auf die flussabwärts liegenden Siedlungen. Dieses Sediment fehlt aber auch am Meer, viele Küstengebiete haben damit zu kämpfen, dass die Erosion nicht mehr durch nachgeliefertes Material ausgeglichen wird (5). In Ausleitungsstrecken hingegen – wo Wasser ausgeleitet wird um Turbinen zu betreiben- wird dem Fluss Transportenergie genommen und Material bleibt liegen, das sonst regelmäßig abtransportiert würde. Dadurch werden Hochwässer gefährlicher, denn bei einem Hochwasserereignis wird dann plötzlich all das angesammelte Sediment mitgeführt.
Die Sedimentdynamik ist natürlich auch essentiell wichtig für die Gewässerökosysteme. Wird die Dynamik gestört, verschlechtert sich der Zustand des Gewässers.

Wasserkraft trägt zur Klimakrise bei

Wasserkraft wird heute noch immer als Teil der Lösung zur Klimakrise gefeiert. Gleichzeitig ist seit über 20 Jahren bekannt, dass Stauseen Treibhausgase ausstoßen, die einen relevanten Anteil am weltweiten Budget haben (6).
Wird ein Tal für einen Stausee geflutet, dann wird das vorhandene organische Material (an der Oberfläche und im Boden) unter Wasser zersetzt. Dabei entstehen die Treibhausgase Kohlenstoffdioxid (CO2), Methan (CH4) und Lachgas (N2O). Methan besitzt ca. das 30-fache Erwärmungspotenzial von CO2, Lachgas sogar das 300-fache. Weltweit tragen Stauseen damit ca. 1,3 % zu den vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen bei (in CO2-Äquivalenten) (6). Darüber hinaus ersetzten Stauseen in der Regel Landschaften, die vorher als CO2 Senke funktioniert haben, wie Wälder oder Moorlandschaften. Werden sie geflutet, können sie natürlich kein weiteres CO2 mehr aufnehmen. Wasserkraft ist damit die einzige erneuerbare Energiequelle, die aktiv und maßgeblich zur Verschärfung der Klimakrise beiträgt.

Wasserkraft tötet Jungfische

Die meisten haben davon gehört, dass Querbauwerke in Flüssen das Hinaufwandern von Fischen stört, bzw. ganz verhindert. Wandernde Fischarten müssen zur Fortpflanzung flussauf schwimmen. Wenn ihr Weg durch ein Wasserkraftwerk versperrt ist, wird ihre Art langfristig aussterben. Dem wird zwar versucht mit Fischaufstiegshilfen entgegenzuwirken, aber die Forschung zeigt, dass diese sehr ineffektiv sind. Zudem ist eine Fischaufstiegshilfe eben auch nur eine Fischaufstiegshilfe: sie schafft bestenfalls Kontinuität für eine Art. Das Ökosystem Fluss besteht aber aus unzähligen Lebensgemeinschaften, Fisch- und Insektenarten, Algen, Bakterien uvm. – und für all diese ist die Kontinuität immer noch unterbrochen (3).

Zusätzlich aber – und das wissen viele nicht – tötet die Betriebsweise der meisten Wasserkraftwerke aktiv Jungfische durch sogenannten Schwall & Sunk (7).
Schwall & Sunk bedeutet, dass der Wasserstand im Flussbett extrem viel schneller steigt und wieder fällt, als das auf natürliche Weise jemals passieren würde. Er entsteht einerseits durch geplante und ungeplante Spülvorgänge an Wasserfassungen (geplante Spülvorgänge dienen dem Reinigen der Anlagen von Sediment, ungeplante treten zum Beispiel bei Störfällen auf). Und außerdem werden Speicherkraftwerke nach Bedarf an- und abgeschaltet, wenn der Strompreis am höchsten ist. Das Wasser schießt dann aus dem Stausee durch Rohre zur Turbine im Kraftwerk und wird danach weiter in den Fluss geleitet – wo es plötzlich auftretende Schwallwellen verursacht.

Das passiert nicht selten, sondern oft mehrmals am Tag. Uferbereiche, Kiesbänke und flache Flussabschnitte werden so innerhalb von Minuten geflutet bzw. wieder trocken gelegt. Wasserlebewesen sind strapaziösen Wasserstands- und auch Temperaturschwankungen ausgesetzt. Die Flutwellen können auch dem Menschen gefährlich werden – für Jungfische sind sie jedenfalls tödlich. Während des Schwalls ist die Strömung für sie zu stark, die Jungfische flüchten in die seichteren Uferbereiche des Flusses, wo die Strömung nicht so stark ist. Wenn dann aber der Wasserstand schlagartig wieder fällt, schaffen sie es nicht rechtzeitig zurück in die tieferen Bereiche und sterben qualvoll in den trocken gefallenen Uferzonen.

‚Grüne‘ Alternativen?

Jede Form der Energieerzeugung ist in irgendeiner Form problematisch – unerschöpfliche, saubere, uneingeschränkt ‚grüne‘ Energieerzeugung existiert bis dato nicht. Im Vergleich zu allen anderen erneuerbaren Energiequellen sind die negativen Auswirkungen der Wasserkraft auf die Umwelt aber massiv höher. Wasserkraft wird häufig in einem Atemzug mit Wind- und Solarenergie genannt – aus ökologischer Perspektive könnten diese aber nicht weiter voneinander entfernt liegen. Im Vergleich zur Wasserkraft sind die negative Auswirkungen auf die Umwelt bei Solar- und Windenergie deutlich kleiner und geographisch begrenzter, sie sind außerdem bedeutend billiger und schneller zu bauen. Wasserkraft ist selten die sinnvollste oder sauberste Lösung – meistens aber die profitabelste, da sie doppelt und dreifach rentabel ist:

  • Wasserkraft ist oftmals als ’nachhaltige‘ Energie subventioniert
  • In Pumpspeichern wird Strom jeglicher Herkunft – also auch Kohle zB – eingespeist und grüngewaschen – und als ‚grüner‘ Strom teurer weiterverkauft.
  • Im Gegensatz zu Wind & Solar können Wasserkraftwerke binnen Minuten ein- und ausgeschaltet werden. Somit kann direkt auf Strompreise am Markt reagiert und Strom zu Spitzenpreisen erzeugt und verkauft werden.

Dies führte zu einer Goldgräberstimmung im Wasserkraftwerksbau, die uns genau dahin gebracht hat, wo wir heute stehen: Der Ausbaugrad der Wasserkraft weltweit und auch in Tirol ist viel zu hoch. Flussökosysteme sind weltweit die am meisten belasteten und übernutzen Ökosysteme; Süßwasserarten am stärksten vom Aussterben bedroht. In Tirol gibt es über 1000 Wasserkraftwerke und kaum einen Bach oder Fluss mehr, an dem nicht schon mindesten ein Wasserkraftwerk hängt – meistens mehrere. Was ursprünglich als ideale Lösung auf dem Weg zur Energiewende galt, ist eine zerstörerischere und oft ineffiziente Form der Energieerzeugung, die auch in die letzten Winkel unberührter Wildnis der Welt vordringt. Klimakrise und Biodiversitätskrise können nicht getrennt voneinander betrachtet werden – und die Energiewende muss so naturverträglich wie möglich umgesetzt werden. Wasserkraft ist die einzige erneuerbare Energie, die nicht nur massiv naturzerstörerisch ist, sondern die aktiv sowohl zum Artensterben als auch zur Klimakrise beiträgt.

Wasserkraft ist schmutzig – und sicherlich nicht per se ‚grüne‘ Energie.

Quellen & Links

  1. https://www.wwf.at/das-schuetzen-wir/bedrohte-arten/living-planet-report-2022/
  2. https://www.wwf.at/neue-fische-fuer-den-inn/
  3. SINGER, Gabriel, Flussnetzwerke. Podcast Zeit für Wissenschaft ZfW_050 Universität Innsbruck, 2021. https://www.uibk.ac.at/podcast/zeit/sendungen/zfw050.html
  4. https://www.igb-berlin.de/sites/default/files/media-files/download-files/memorandum_klimaschutz_vs_biodiversitaet.pdf
  5. https://www.spektrum.de/news/wasserkraft-das-sterben-der-stauseen/1969555
  6. DEEMER, Bridget R. et. al., Greenhouse Gas Emissions from Reservoir Water Surfaces: A New Global Synthesis. BioScience, Volume 66, Issue 11, 1 November 2016, Pages 949–964, https://doi.org/10.1093/biosci/biw117
  7. https://www.wwf.at/neue-studie-schwallbetrieb-der-wasserkraft-verstoesst-gegen-tierschutzgesetz/

Titelbild: Schlegeisspeicher

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