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Gurgler, Venter und Ötztaler Ache – Warum sind sie so schützenswert?

Viele Menschen nutzen die Natur zur Erholung. Dabei ist es ganz egal, ob wir gerne am Wasser entlangwandern, auf dem Wasser entlangfahren oder einfach nur am Wasser sitzen und der Strömung lauschen. Wasser ist aber noch viel mehr als einfach nur Wasser. Es ist ein Lebensraum für allerlei Tier- & Pflanzenarten, die wir auf den ersten Blick gar nicht sehen. In diesem Blogbeitrag wollen wir uns damit beschäftigen, welche Lebewesen, insbesondere Insekten alle in unseren Flüssen wohnen und warum dieser Lebensraum so einzigartig ist.

Gastbeitrag

Unsere Autorin BSc Cinzia Raviscioni studiert Ökologie an der Universität Innsbruck.

Leben im Hochgebirge

Das Leben in den Bergen ist nicht immer einfach. Große Temperaturunterschiede, viel Sonne, Schnee und Muren sind nur ein Teil dessen, was die Bedingungen in Hochgebirgen erschwert. Das gilt auch für das Leben im Fluss. Hier gibt es nämlich neben Fischen auch allerlei andere Tierarten, die zwischen, auf oder unter Steinen leben. In der Fachsprache werden sie „Makrozoobenthos“ genannt – also Tiere („zoo“), die mit dem bloßen Auge erkennbar sind („makro“) und auf dem Grund leben („benthos“). Die meisten davon sind Insektenlarven – aber hierzu später mehr. Bevor sie sich zu ihrer Erwachsenenform („Imgago“ genannt) entwickeln, leben sie noch im Wasser – genauer genommen in Flüssen und Bächen. Je nachdem welchen Abschnitt eines Flusses wir betrachten, kommen unterschiedliche Arten dieser Insekten vor. An diesen Lebensraum sind sie dementsprechend angepasst. Vor allem die schnelle Strömung und ein rauer Untergrund stellen dabei eine Herausforderung dar. Ebenso ist die hohe Sonneneinstrahlung durch wenig Pflanzenbewuchs am Ufer eine Beeinträchtigung. Nicht zuletzt die tiefen Wassertemperaturen durch Schnee- und Gletscherschmelze wirken sich auf diese Tiere aus. Es gibt also ganz spezielle Arten, die auf diese besonderen Bedingungen angepasst sind. Vor allem im Hochgebirge können dabei bestimmte Arten ein Hinweis dafür sein, wie gut ein Fluss in seiner Natürlichkeit noch erhalten ist.

Eintags-, Stein- und Köcherfliegen

Beim Lesen könnte man vermuten, dass es sich bei diesen Insekten um Fliegen handelt, doch keine dieser Gruppen ist mit den Fliegen verwandt. Sie leben die meiste Zeit ihres Lebens als Larven in Flüssen und Bächen. Bis sie sich vollständig entwickeln und aus dem Wasser kommen, kann es mehrere Monate bis mehrere Jahre dauern. Sobald sie an Land krabbeln, legen die fertig entwickelten Insekten nur noch ihre Eier ab und der Kreis beginnt von vorne.

Eintagsfliegen (Ephemeroptera) spielen eine wichtige Rolle in Nahrungsnetzen von Bächen. Die Gefährdung von 40% aller bekannten Arten kann deswegen Auswirkungen weit über das Flusssystem hinaus haben (8). Steinfliegen (Plecoptera) leben – wie der Name bereits vermuten lässt – gerne auf, unter oder an Steinen. Von dieser Gruppe, die stark von Sedimenttransporten abhängig ist, sind 46% gefährdet (8). Köcherfliegen (Trichoptera) brauchen, um ihren Köcher zu bauen, Sand, kleine Steinchen, Hölzchen, Halme und Blattstücke, die sie dann mit selbst produzierten Fäden zusammenhalten und in ihnen leben (8). Sie sind also ebenso vom Sedimenttransport abhängig. Alle drei Gruppen zeichnen sich durch diese speziellen Anpassungen aus und werden daher herangezogen, um die Güteklasse eines Gewässers zu beurteilen und einzustufen. Wird das Habitat durch Veränderungen des Fließgewässers beeinträchtigt, beispielsweise durch Strukturveränderungen der Gewässersohle, Wasserentnahmen oder Staumauern, können manche Arten ganz verschwinden. Das führt zu einer Veränderung der Artzusammensetzung, die sich von spezialisierten Arten zu generalisierten Arten verschiebt. Hieraus ergeben sich die Gründe, weshalb die Gurgler, Venter und Ötztaler Ache so einen wichtigen und besonderen Lebensraum darstellen.

Die drei Achen

Das Ötztal ist als Seitental des Inntals vielen Menschen bekannt – wegen seiner bekannten Skigebiete sogar international. Doch nicht nur Obergurgel und Sölden sollten im hinteren Ötztal bekannt sein. Die Gurgler und Venter Ache, die sich bei Zwieselstein zur Ötztaler Ache verbinden, bieten in sich ein einzigartiges Gebiet. Schon 1998 wurde erkannt, dass die Achen ein „Flussheiligtum“ sind und geschützt werden müssen (1). Doch warum eigentlich?

Sowohl die Gurgler als auch die Venter Ache werden von Gletschern gespeist. Hierdurch ergibt sich bereits ein rauer Lebensraum. Durch das Schmelzwasser herrschen das ganze Jahr über niedrige Wassertemperaturen. Besonders Transport von Sediment in allen Größen von Sand, zu Kies und Steinen ist wichtig für die Vielfalt des Bach- und Flussbettes. Außerdem kommt es vor allem im Frühjahr und Sommer zu sehr hohen Abflüssen und einer starken Trübung des Wassers (2). Da sich diese Bäche vereinen, finden wir in der Ötztaler Ache ebenso einen harschen Lebensraum. Durch die Enge des Ötztales und des daraus folgenden gestreckt-bogigen Verlaufs des Flusses bietet er sowohl ruhige als auch turbulente Lebensräume. Somit bilden die drei Achen in Tirol ein noch weitestgehend hydrologisch-unberührtes Flusssystem (2). Diese Eigenschaften sind Grundlage für die Vielfalt an Arten. Die Achen sind noch nahezu unberührt, weswegen die natürlichen Prozesse von Abfluss, Sediment- und Nährstofftransport gut funktionieren und die Bäche jeweils eine positive Zustandsklasse haben (4).

Veränderungen durch Klima und Mensch

Doch durch den voranschreitenden Klimawandel geraten die Flüsse und ihre Bewohner vermehrt unter Stress. Durch die Abnahme von Schmelzwasser und der Gletscherbedeckung im Einzugsgebiet verändern sich die Artgemeinschaften (5). Nachdem wir hier nun ein bereits hochgelegenes Tal betrachten, ist auch das Ausweichen nach oben hin nur bedingt möglich. So werden vor allem kälteangepasste Arten verdrängt und es siedeln sich vermehrt wärmetolerante Arten an (6). Nachdem beispielsweise Steinfliegen und Köcherfliegen besonders in den Alpen vorkommen (6), ist bei ihnen ein Artenverlust nicht unwahrscheinlich. In der Schweiz konnten Forschende bereits eine Verschiebung der Arten in höhere Lagen beobachten (6). Nachdem Ökosysteme eine gewisse Zeit benötigen, um sich auf Umwelteinflüsse einzustellen, sind die Folgen noch nicht festzulegen (4).

Neben diesen eher natürlichen Prozessen, kommt zusätzlich die aktive Veränderung der Flüsse durch den Menschen. Besonders die intensive Nutzung der Wasserkraft als erneuerbare Energie stellt ein Risiko dar, dass Fließgewässer in Österreich keinen ökologisch-guten Zustand erreichen oder erhalten können (3). Durch Querbauwerke wird der natürliche Transport von Sedimenten und Nährstoffen verhindert oder gestoppt. Diese sind, wie erklärt, besonders wichtig für die Insekten, die im Flussbett leben. Die geringere Wassermenge stellt ebenfalls ein Problem dar, da es durchaus auch Arten gibt, die an schnelle Strömungen angepasst sind. In einem beruhigten Abfluss können diese nur schwer überleben und werden von anderen Arten, die an langsames Wasser angepasst sind, verdrängt. Der Nationale Bewirtschaftungsplan 2021 des Bundesministeriums für Landwirtschaft, Region und Tourismus sagt, dass bereits kleine Kraftwerke schwere Folgen auf intakte, natürliche Gewässer haben können. Bei dem Ausbau des Kraftwerks Kaunertal handelt es sich jedoch um ein Megaprojekt. Die Auswirkungen davon sind nur schwer vorstellbar, können sich mit Sicherheit aber nicht positiv oder zumindest neutral auf die Ötztaler, Gurgler und Venter Ache auswirken.

Fazit

Der Leitgedanke der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie ist: „Gewässer sind zu schützen, zu verbessern und zu sanieren, dass es zu keiner Verschlechterung des IST-Zustandes kommt […]“. Mit dem einzigartigen Lebensraum, den die Achen im Ötztal bieten, ist dieser Gedanke wohl verfehlt. Nicht nur die hier erwähnten Steinfliegen, Eintagsfliegen und Köcherfliegen wären betroffen. Auch allerlei andere Tierarten im Wasser und an Land wie Vögel, Fische oder auch Pflanzenarten wären stark betroffen. Die Auswirkungen auf das Ökosystem Wasser würden dabei vielleicht absehbar sein, doch nicht zu vergessen sind die Auswirkungen, die das Wasser auf seine umliegende Ökosysteme hat. Diese engen Verknüpfungen sind so vielfältig, dass wir sie in ihrem gesamten Ausmaß noch nicht verstehen. Und bevor wir dieses Verständnis erlangen können, sollen diese Ökosysteme durch den Bau eines weiteren Kraftwerks bereits verloren gehen.

Quellen & Links

  1. „WWF weiht Flussheiligtum Ötztaler Ache ein“. Presseaussendung. 02. Mai 2012. https://www.wwf.at/wwf-weiht-flussheiligtum-oetztaler-ache-ein/ (zuletzt aufgerufen 29.03.2024).
  2. Koch, Eva-Maria, Erschbamer, Brigitta (Hg.) (2013): Klima, Wetter, Gletscher im Wandel. 3. Auflage. innsbruck university press. ISBN 978-3-902811-89-9
  3. Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus, MitarbeiterInnen der Sektion I Wasserwirtschaft. „Nationaler Bewirtschaftungsplan 2021“. April 2022. Herausgeber: Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus. GZ. 2022-0.270.788.
  4. Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft Abteilung I/2: Nationales und internationale Wasserwirtschaft (Hg.). „Wassergüte in Österreich – Jahresbericht 2018-2020“. 2022. Aktualisierte Version: 20.02.2023.
  5. K. Khamis, D.M. Hannah, L.E. Brown, R. Tiberti, A.M. Milner. (2014) “The use of invertebrates as indicators of environmental change in alpine rivers and lakes”. Science of The Total Environment, Volume 493, Pages 1242-1254, ISSN 0048-9697, https://doi.org/10.1016/j.scitotenv.2014.02.126.
  6. D. Küry, V. Lubini, P. Stucki. (2018) “Verletzlichkeit von Eintagsfliegen, Steinfliegen und Köcherfliegen alpiner Quellen gegenüber Klimaveränderungen. Vulnerability of mayflies, stoneflies and caddisflies in alpine springs towards climate change“. Jahrbuch des Vereins zum Schutz der Bergwelt (München). 83. 199–2017.
  7. Umweltbundesamt Gesellschaft mit beschränkter Haftung (UBA-GmbH). „Rote Listen gefährdeter Tierarten“. (2024). https://www.umweltbundesamt.at/umweltthemen/naturschutz/rotelisten/rote-listen-gefaehrdeter-tierarten (zuletzt aufgerufen 07.05.2024).
  8. Bundesamt für Naturschutz: Rote-Liste Zentrum. (2017) „Steinfliegen (Plecoptera)“ / „Köcherfliegen (Trichoptera)“ / „Eintagsfliegen (Ephemeroptera)“. https://www.rote-liste-zentrum.de/de/Steinfliegen-Plecoptera-2074.html (zuletzt aufgerufen am 07.05.2024).

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